Extend it! – Dokumentation

Dezentrale Konferenz zum Jetzt und Morgen des Figurentheaters

03. – 05. Dezember 2021
online | Zoom & GatherTown

Plakat an einer Wand mit dem Text: Ich so: Figurentheater? Du so: Voll mein Ding!

Ein Jahr lang hat sich die »Allianz internationaler Produktionszentren für Figurentheater«, gegründet im Mai 2020 durch Schaubude Berlin, FITZ Stuttgart und Westflügel Leipzig, im Rahmen der Netzwerkförderung des Bundes #TakeNote weitergebildet.

Als Ankerinstitutionen für freie Gruppen und Künstler*innen in drei verschiedenen Städten verstehen sich die Mitglieder der Allianz als Bündnis eigenständiger Produktionszentren mit zentralen Gemeinsamkeiten. Ziel jedes der drei Häuser ist, Innovation und Entwicklung zeitgenössischen Figurentheaters zu fördern und die Künstler*innen zu unterstützen.

Mit Rücksicht auf die Unterschiedlichkeiten der jeweiligen Häuser sucht die Allianz zugleich die Gemeinsamkeiten der Produktionszentren zu fördern und Potenziale der Zusammenarbeit auszuloten.

Es wurden Strukturen für Austausch und Vernetzung in allen Abteilungen und Arbeitsbereichen geschaffen. Neben der Einrichtung eines leicht zugänglichen Kommunikationskanals wurden digitale Stammtische, aber auch Besuche vor Ort inklusive Shadowing organisiert. Außerdem wurden Workshops abgehalten, die den Interessen und Bedarfen der einzelnen Bereiche entsprachen, z.B. ein Social Media Workshop für PR und Öffentlichkeitsarbeiter*innen der Häuser, eine kollektive Rechtsberatung für Buchhaltung und Finanzen sowie zwei Moderationsworkshops für alle Interessierten. In diesen unterschiedlichen Prozessen sind vielfältige Kooperationen entstanden, persönliche Kontakte, kollektives Wissen und geteilte Skills.

Die aufgrund der pandemischen Situation schließlich digital durchgeführte Konferenz zum Jetzt und Morgen des Figurentheaters stellte in diesem Projekt einen ersten Zwischenstand dar, deren Ziel es war, die Themen und Arbeitsfelder des Vernetzungsprozesses vor Publikum zu präsentieren und mit diesem weiter zu diskutieren.

Eine Dokumentation dieses Wochenendes inklusive der gezeigten Videoinputs, Erfahrungsberichte und Arbeitsmaterialien findet ihr im Folgenden. Viel Spaß beim Sichten, Erinnern, Mit- und Weiterdenken.

DOKUMENTATION

AUFTAKT

»Wir haben keine Antworten, wir üben uns nur im Fragen stellen.«

Zur offiziellen Begrüßung zum »Extend it!«-Wochenende der Allianz internationaler Produktionszentren für Figurentheater wurde der Charakter der Konferenz als offener Experimentierraum und Weiterführung der Recherchen des vergangenen Jahres sehr explizit ausgestellt.

Vertreter*innen der drei Häuser, Silke Haueiß für die Schaubude Berlin, Katja Spieß für das FITZ Stuttgart und Jonas Klinkenberg für den Westflügel Leipzig, holten das Publikum am Freitagabend im virtuellen Raum ab und gaben einen kurzen Überblick über den aktuellen Stand der Allianz und das kommende Programm der Konferenz.

ZOCKEN UND CHATTEN

Als erstes partizipatives Format lud »Extend it!« das gespannte Publikum ein zum gemeinsamen »Zocken & Chatten«. Geladen waren Special Guests aus der Szene, die von der heimischen Couch aus zu ihren Produktionen und Arbeitsweisen befragt werden konnten. Zu kollektiven Onlinegames – Puzzeln, Fußball und Worms – diskutierten die Spieler*innen über Fragen rund um Regie, Digitalität und Modulares Erzählen und die Herausforderungen zwischen lokalem Spielbetrieb und Touring.

OFFENE FRAGEN:

Wie beeinflussen neue Medien das Arbeiten?
Welche Erzählstrategien eröffnen digitale Räume?
Wie verändern digitale Potenziale die Wahrnehmung?

Wie und wo sollte produziert werden?
Wie wichtig ist ein fester Produktionsort für das Figurentheater?
Stadt oder Land – oder beides?

Was braucht es für eine gute Regie im Figurentheater?
Wie kann kollektiv Reflexion erfolgen?
Ist Regie ein einsamer Sessel?

GÄSTE

Matthias Ludwig | flunker produktionen, Wahlsdorf
Iris Meinhardt | MEINHARDT&KRAUSS cinematic theatre, Stuttgart
Annette Scheibler | Ensemble Materialtheater, Stuttgart
Franz Schrörs | Leipzig
Anna Wagner-Fregin & Daniel Wagner | Theater Anna Rampe / Theater
im Bergmannkiez, Berlin
Stefan Wenzel | Lehmann & Wenzel, Leipzig

DAS FIGURENTHEATER |
NÄCHSTE STATION: DOGMA &
STANDORTBESTIMMUNG: FIGURENTHEATER

Am Figurentheater liebe ich…

INTRO

In der Zusammenarbeit als Allianz internationaler Produktionszentren für Figurentheater erschien es immer wieder nötig, sich auch über die Parameter unserer Schnittstellen bewusst zu werden. Auf konzeptioneller wie künstlerischer Ebene stellten sich die Fragen nach Selbstverständnis und -verortung als zentrale Diskussionspunkte. Eine solche Standortbestimmung dient nach innen der Kommunikation und Vergewisserung, erleichtert den Austausch und ist Grundlage für die Artikulation nach außen, z.B. in Bezug auf Kommunikation, Programmierung und die Beantragung von Förderungen.
Der Frage nach möglicher inhaltlicher, struktureller oder ästhetischer Definition wurde im Rahmen der Konferenz in einem Input und zwei inhaltlich zusammenhängenden Panels nachgegangen.

INPUT

Eine Fülle von Denkanstößen gab Laurette Burgholzer in ihrem Input zu der Frage »Was ist Figurentheater?« Anhand zeitgenössischer Inszenierungsbeispiele zeigte sie eine Vielzahl unterschiedlicher Auffassungen und Anforderungen, aber auch historischer und regionaler Entwicklungslinien auf, die das Bild von »Figurentheater« prägen. Die Skizze vielfältig einander widersprechender Vorstellungen verdichtete sie in Überlegungen zum spezifischen Potenzial zeitgenössischen Figurentheaters als Verflechtungstheater und Labor für Wahrnehmung.

Laurette Burgholzer | Theaterwissenschaftlerin, Paris/Stuttgart

NÄCHSTE STATION: DOGMA

Als Schreibworkshop konzipiert lud »Nächste Station: DOGMA« ein, die eigene Auffassung zum Gegenstand zu erproben, zu formulieren und damit in Austausch zu treten.

Angesichts der Vielzahl der vertretenen Positionen in der Szene ergaben sich im Schreiben eine Fülle un|möglicher Thesen, Manifeste und Dogmen, die festlegen, einander widersprechen, ergänzen und sich selbst ad absurdum führen. Die Diversität der Szene, der vielfältigen künstlerischen Ausdrucksmittel, Praktiken und Auffassungen bildet der digitale große Tisch ab, der in diesem Workshopformat entstanden ist.

Padlet des Schreibworkshops »Nächste Station: DOGMA«

BERICHTE AUS DEM SCHREIBWORKSHOP

2er-Übung: Ich und meine Perspektive

In einer ersten Austauschübung trafen sich per Zufallsgenerator je zwei Personen und tauschten sich zu ihren Ideen rund um das Figurentheater aus. Entstanden sind eine Vielzahl spannender Einzelgespräche sowie eine Grafik gesammelter Schlagworte.

Schlagworte zum Figurentheater

Die Suche nach dem Dogma | Übung in Kleingruppen

Im Versuch, Fragmente möglicher Dogmen zu erstellen, wurden an sechs virtuellen Tischecken viele Fragen und eine Menge sehr unterschiedlicher Antworten zusammengetragen. Die entstandenen Diskussionen warfen wiederum weitere Fragen auf und ließen dadurch die Komplexität des Gegenstandes, die Diversität der Akteur*innen, ihrer Zugänge und Interessen sehr haptisch werden.

OFFENE FRAGEN:

Warum ein Dogma und kein Manifest – und wo ist der Unterschied?

Wohin wollen wir uns abgrenzen, nach innen oder nach außen – und wo ist das jeweils?

Wer sind wir und welche Rolle spielt die jeweilige Position der Akteur*innen?

Auch Rolle und Funktion des Publikums wurde sehr unterschiedlich betrachtet. Sind die Zuschauer*innen die im Produktionsprozess mitgedachten Adressat*innen?

Was ist der Mehrwert von Figurentheater gegenüber anderen Kunstformen?

Muss man die Provokation des Publikums in Schaffensprozess integrieren?

Was ist Figurentheater?

Wie definiert es sich und worüber?

Personen, Potenziale, Strukturen oder ästhetische Formen?

Welche Rolle spielt der Begriff der Avantgarde oder Innovation?

Muss Figurentheater immer eine Botschaft haben?

Wie politisch muss es sein?

Wie können wir Diversität und Awareness in den Gegenstand einschreiben?

Sollten wir viel radikaler sein?

Wie kann man streiten?

Was ist im Figurentheater das Besondere?

Gibt es einen Kern, auf dem man sich beziehen kann?

Geht es um eine Sammlung verschiedener Kernelemente, die in Kombination dann Figurentheater bedeuten?

Was sind diese Kernelemente?

Geht es immer um Animation?

Oder das Verhältnis zum Material?

Was kann Material sein?

Auch einige Dogmen – und Einwände! – sind entstanden, die proklamieren, festschreiben und definieren, um die eben gezogene Grenze im nächsten Moment wieder zu überschreiten.

So erzählte »Nächste Station: DOGMA« zum einen von einem Scheitern, das bereits in der Aufgabenstellung angelegt war – lebt doch die Kunst vom Erstellen und Niederreißen dogmatischer Glaubensätze und Festlegungen und zeichnet sich Figurentheater ganz besonders als »Schnittstellenkunst« aus, deren elementare Traditionslinien durch ihr unbegrenztes Potenzial der Aktualisierung durch Öffnung und Aufnahme vielfältiger Einflüsse ergänzt werden. Auf der anderen Seite zeigte der Workshop sehr deutlich, dass es genau diese Konstellationen sind, die Figurentheater so komplex, divers und lebendig halten. Dazu gehört nicht zuletzt das Ringen um mögliche Verortungen, die, zwar mit Augenzwinkern versehen, dennoch eine ernsthafte Auseinandersetzung bedeuten und als Basis für weitere Zusammenarbeit – auch im Sinne der Selbstverständnisse der Allianz und der einzelnen Häuser – dienen können und sollen.

STANDORTBESTIMMUNG: FIGURENTHEATER

Als Zwischenstand des bisherigen Austauschs setzte »Standortbestimmung: Figurentheater« den Austausch des Schreibworkshops in gebündelter Form fort und stellte die Ergebnisse erneut zur Diskussion.

Grafik: Susanne Asheuer

Die Grafik, die entlang der Workshopdebatten entstand, verdeutlichte zugespitzt die Vielfalt der zusammengetragenen Überlegungen als Ausgangspunkt für weitere zukünftige Diskussion und Austausch und stellte ein Zeichen dar für die unterschiedlichen Auffassungen, Themen und Selbstverständnisse rund um die Frage »Was ist Figurentheater?«

Wenngleich die Diskussion vielschichtig und über Umwege geführt wurde, war der Austausch sehr produktiv. Einzelne Schwerpunktthemen zogen sich dabei wie bunte Fäden durch die Debatten.

So zeigte sich in der unlösbaren Aufgabe ein kollektives Dogma zu formulieren, das große Interesse, sich über Auffassungen von Figurentheater, ästhetische Konzepte und Praktiken auszutauschen, wenngleich in der Konkretisierung solcher Festlegungen meist sehr unterschiedliche Forderungen und einander widersprechende Aussagen entstanden.

Hier wurde eine Bandbreite möglicher ästhetischer Setzungen getestet, wobei Begriffe wie Animation als Belebung, Verlebendigung, Transformation und Beziehungsaufbau immer wieder auftauchten. Auch das Verhältnis Mensch und Material wurde als zentrale Konstellation verhandelt, sowie erzählerisches Potenziale durch, mit und über Materialien diskutiert.

Außerdem wurden mehrfach Rufe nach Irritation, Radikalität und Provokation laut, Potenziale und Wirkweisen, die Figurentheater möglicherweise sehr grundlegend zugeschrieben werden können.

Ein zweiter zentraler Aspekt waren Arbeitsstrukturen und Produktionsweisen. Aus der Erkenntnis, dass strukturelle Gegebenheiten und Bedingungen künstlerischer Produktion mit dieser untrennbar verwoben sind, wurden Themen wie Forschungsfreiräume, Förderung, Finanzierung und Arbeitsbedingungen als Grundlage für künstlerische Arbeit diskutiert. Die Verflochtenheit künstlerischen Arbeitens und struktureller Bedingungen spiegelte sich z.B. in der Debatte um die Souveränität der Akteur*innen, was zugleich als inhaltliches Charakteristikum von Figurentheater gehandelt wurde.

In der Frage »Wie wollen wir arbeiten?« überlagerten sich die Diskurse und führten zu einem dritten wichtigen Aspekt, der sich auf Figurentheater und Gesellschaft bezog. Ausgehend von Produktions- und Arbeitsweisen, aber auch ausgehend vom künstlerischen Gegenstand gelangte die Diskussion immer wieder zu Fragen von Haltung und Verantwortung, die auf konkrete Strukturen, aber auch auf die eigene Position zum Gegenstand, Publikum und Welt ins Auge fasste. Schlagworte hier waren Diversität, Zugang und Barrierearmut, aber auch grundsätzlich Bewegungen der Dezentrierung und Dehierarchisierung, die sich schließlich wieder im Umgang mit dem eigenen Material niederschlagen.

ERGEBNISSE AUS WORKSHOPS UND DISKUSSIONSRUNDE

Die Teilnehmenden fanden sich in drei Gruppen für abschließende Überlegungen. Es entstanden ein Dogma, ein Anti-Dogma und eine Serie von Gedanken zum spezifischen Potenzial von Figurentheater:

VORLÄUFIGES FAZIT:

Die Vielfalt von Gedanken als Erfolg verbuchen, nicht als Chaos!

PRODUKTIONSHÄUSER DER ZUKUNFT

INTRO

Als Allianz und freie Produktionshäuser sind Fragen nach Produktionsstrukturen und Arbeitsbedingungen zentrale Aspekte, für welche wir uns immer auch als Interessensvertretung gegenüber Politik und Gesellschaft begreifen.
Um hier ausgehend von der Praxis und den Bedürfnissen der Beteiligten konkrete Empfehlungen, Vorschläge und Selbstverpflichtungen formulieren zu können, braucht es einen unmittelbaren Austausch zwischen Akteur*innen der freien (figurentheatralen) Szene.

Ausgehend von drei Inputs, die aus unterschiedlichen Perspektiven Fragen und Ausblicke zu Arbeits- und Produktionsbedingungen beleuchteten, wurden in mehreren Kleingruppenarbeiten aktuelle Herausforderungen gegenwärtiger Transformationsprozesse und bestehender Strukturen erörtert. Anschließend folgte ein Austausch über sehr konkrete Forderungen und Wünsche sowie eine erste Sammlung von Best Practice als Ausgangspunkt für die Weiterarbeit der Allianz internationaler Produktionszentren für Figurentheater, der freien Szene und jedes*r Einzelnen.

INHALTLICHE BEGRÜßUNG

»Im Verhältnis zur langen Geschichte des Theaters im deutschsprachigen Raum sind Produktionshäuser eine relativ neue Erscheinung. Ihre Entstehung steht im Zusammenhang mit der Entwicklung der freien darstellenden Künste, die vor etwa 50 Jahren begann.

Die Gründungskontexte dessen, was wir heute Produktionshäuser nennen, waren sehr unterschiedlich, was man schon allein an den drei in der Allianz zusammengeschlossenen Häusern sehen kann. Das FITZ Stuttgart, der Westflügel Leipzig und die Schaubude Berlin entstanden in drei unterschiedlichen Jahrzehnten und reagierten mit ihrer Gründung auf die im jeweiligen Zeitraum gängigen Praktiken freier Theaterproduktion. Insbesondere im Figurentheaterbereich wurden viele Häuser, darunter auch das FITZ und die Schaubude Berlin, als Spielstätten gegründet und befinden sich erst seit ein paar Jahren in einem Transformationsprozess: Von einem Ort der Präsentation zu einem Ort der Produktion.

Produktionshäuser schlagen, wie generell die freie Szene, eine alternative Form des Theatermachens vor – alternativ im Verhältnis zu den Praktiken in städtischen Theaterstrukturen oder in kommunalen Ensembletheatern. Das »frei« in »Freie Szene« bezieht sich dabei darauf, den Produktionskontext zu Projektbeginn frei entwickeln zu können und nicht von einer institutionellen Struktur und ihren Notwendigkeiten aus planen zu müssen. Produktionshäuser denken ausgehend von künstlerischen Ideen und schaffen gemeinsam mit den Künstler*innen in für das jeweilige Projekt möglichst passgenaues Produktionssetting. Dadurch ist ihnen eine gewisse Fluidität und Flexibilität zu eigen, schließlich muss die Struktur immer neu angepasst werden.

Obgleich Produktionshäuser auf keine lange Geschichte zurückblicken und durch diese flexiblen Strukturen geprägt sind, sehen wir auch bei ihnen die Tendenz zur Institutionalisierung – so wie sich generell die Freie Szene institutionalisiert. Das ist sicherlich in der aktuellen Entwicklung der freien darstellenden Künste ein probater Weg. Gleichzeitig sehen sich die Institutionen der Produktionshäuser nunmehr mit Herausforderungen konfrontiert, mit denen sich auch andere Institutionen der Kunstproduktion auseinandersetzen müssen.

Drei Bereiche sind hier zentral zu nennen. Erstens: Die Künstler*innen haben sich in den letzten Jahren stärker vernetzt, Interessensvertretungen gegründet und ihre Praktiken auf Produktionsebene professionalisiert. Daraus entstehen neue und sehr nachvollziehbare Ansprüche, etwa an fairere Arbeitsbedingungen, an Mitsprache, aber auch an Räume, Personal und Ausstattungen. Zweitens: Genauso wie andere Institutionen müssen auch Produktionshäuser bei aller Fluidität ihre Organisationsformen hinterfragen, etwa aus machtkritischer Perspektive oder mit Hinblick auf Diskriminierungssensibilität. Drittens schließlich müssen sich auch die Produktionshäuser mit den gesellschaftlichen Transformationen, die teilweise seit Jahrzehnten verschleppt werden, auseinandersetzen: Digitalisierung, Diversitätsentwicklung, Zugänglichkeit, Nachhaltigkeit sind Themen, zu denen sich die Häuser verhalten müssen.

Hortensia Völckers, die Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, brachte es bei der Tagung »Ungeduld« im November 2021 auf den Punkt: Gerade Institutionen stehen derzeit unter dem Druck, diese ganzen Aufgaben zu bewältigen – insbesondere für die kleineren Strukturen im Figurentheaterbereich mit geringeren personellen und finanziellen Ressourcen eine große Herausforderung. Wenn wir aber wollen, dass es in 10 oder 15 Jahren diese Institutionen noch gibt, wird kein Weg daran vorbeiführen, diese Transformation anzugehen.

Insofern freue ich mich darauf, Gedanken zur Zukunft der Produktionshäuser austauschen zu können. Wir wollen im Rahmen der dezentralen Konferenz der Allianz Probleme benennen, Lösungswege skizzieren und in einem Austausch aus Künstler*innen und Vertreter*innen der Häuser darüber nachdenken, wie dieser zukünftige Weg gelingen kann.«

Tim Sandweg | Künstlerische Leitung, Schaubude Berlin

INPUT 1

Ausgehend von der Frage nach Definition und Reichweite des Begriffs »Transformation« skizzierte Jonas Zipf in seinem Input dessen Auswirkungen, Herausforderungen und Potenziale auf und für freie Produktionshäuser. Anhand von drei breit gefassten zentralen Schlagworten – Digitalität, Nachhaltigkeit und Inklusion – forderte er dazu auf, Transformation als gesellschaftlichen Wandel aktiv zu gestalten. Dabei bestärkte er freie Produktionshäuser in ihrer Funktion als künstlerische, aber auch strukturelle Avantgarde mit Modellfunktion, gerade auch unter den erschwerten Bedingungen der COVID-Pandemie.

Jonas Zipf | Werkleiter JenaKultur (Kulturverantwortlicher der Stadt Jena)

Anmerkung:
Discrediting: Der Begriff #metoo ist nicht, wie im Video irreführend formuliert, aus der Filmbranche entstanden, sondern ist eine Aneignung für den hiesigen Diskurs. Tatsächlich wurde der Begriff von einer seit 15 Jahren währenden Bewegung aus Schwarzen Communities geprägt, initiiert von Tarana Burke.
Weitere Infos dazu:
Tarana Burke: Unbound: My Story of Liberation and the Birth of the Me Too Movement
»Chatgewitter« zum Input von Jonas Zipf

INPUT 2

Zwischen kulturwissenschaftlicher Analyse und Evaluation praktischer Erfahrung bewegte sich Anne Bonferts Input zu Produktionsprozessen in freien Theaterkollektiven. Ausgehend von einem sehr praxisorientieren Politikbegriff, der jedes Handeln als politischen Akt begreift, sah sie eine grundlegende Verflochtenheit ökonomischer, künstlerischer und struktureller Handlungsfelder. Die kritische Reflexion der Zusammenhänge zwischen freiheitlicher Selbstbestimmung und neoliberaler Selbstausbeutung sichtbar und produktiv zu machen, beschrieb Bonfert als zentrale Aufgabe des künstlerischen Feldes. Hierzu skizzierte sie konkrete Handlungsanweisungen zu Selbstpositionierung, Solidargemeinschaft und Best Practice.

Anne Bonfert | Kulturwissenschaftlerin / Gründungsmitglied des Theaterkollektivs Frl. Wunder AG / Leiterin der Stiftung Leben & Umwelt (Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen)
»Chatgewitter« zum Input von Anne Bonfert

INPUT 3

Immer wieder wird in der Kunst der Ruf laut, sich mit Manifesten, Dogmen oder Bekenntnissen auf Gegründet im Jahr 2000 von staatlicher Seite scheint das dezentral selbstorganisiertes Produktionshaus Très-Tôt-Théâtre im Westen Frankreichs als inspirierendes Beispiel von Best Practice at its best. Als Kompetenz- und Forschungszentrum fungiert es als lokaler Ankerpunkt für Kunst und Kultur, veranstaltet aber zugleich jährlich stattfindende internationale Festivals. Durch vielfältige Beziehungen zu regionalen und überregionalen Partner*innen sowie kluge infrastrukturelle und finanzielle Förderstrukturen verfügt das kleine Produktionszentrum über eine Bandbreite von Möglichkeiten, die von Residenzen über technische Begleitung bis hin zur Erschließung neuer Spielorte reichen.

Melanie Florschütz | florschütz & döhnert, Berlin

»Chatgewitter« zum Input von Melanie Florschütz

FREIE PRODUKTIONSHÄUSER | MODELLFUNKTION & HANDLUNGSAUFTRÄGE

Ein zentraler Gedanke, der aus den sehr unterschiedlichen Inputs hervorging, war, das spezifische Potenzial freier Produktionshäuser in ihrer Modellfunktion zu begreifen. Als Strukturen, die idealerweise bedarfsorientiert und flexibel organisiert sind, können freie Produktionshäuser neue Formen der Institutionalisierung, Arbeits- und Produktionsweisen erproben und dadurch als Vorreiter mit Pilotfunktion das Arbeitsfeld Darstellende Künste nachhaltig prägen.
Die gegenwärtigen transformativen Prozesse – wenngleich sie gerade für die Freie Szene eine große Herausforderung darstellen – können und sollten als Möglichkeit begriffen werden, die besonderen Vorteile und Fähigkeiten freier Produktionshäuser zu nutzen, um Transformation nicht nur zu erleben, sondern aktiv mitzugestalten.

Konkrete Handlungsanweisungen, die die Inputs nahelegen, sind, die spezifische Flexibilität und Fluidität freier Produktionszentren zu nutzen, um Versuche und Experimente zu wagen.
Dabei bleiben Fragen nach Arbeits- und Produktionsweisen vor dem Hintergrund aktueller Diskurse von Inklusion, Digitalität und Nachhaltigkeit besonders virulent. In der Frage, wie es möglich ist, Zusammenhänge und Strukturen kritisch zu reflektieren, gemeinsame Selbstverständnisse zu formulieren und den eigenen Betrieb bedürfnisorientiert unter Einbezug von Best Practice (um) zu strukturieren, können freie Produktionszentren Pionier*innen sein.
Dabei spielen einige Faktoren eine wichtige Rolle. So müssen unterschiedliche Bedürfnisse, Stärken, Privilegien und diskriminierende Strukturen wahrgenommen und sichtbar gemacht werden, damit Arbeitsprozesse kollektiv und solidarisch gedacht werden können.
Diese Arbeit an den der künstlerischen Produktion zugrunde liegenden Strukturen – und das ist grundlegend für eine nachhaltige, solidarische und zeitgemäße Transformation – muss als Arbeit gesehen und auch entlohnt werden. Schließlich bedarf eine solche Transformation der Entwicklung von Räumen des Austausches über diese Strukturen, aber auch von Räumen für Forschung und Recherche, die im künstlerischen Arbeiten immer wichtiger werden, sowie nicht zuletzt des Ausbaus öffentlicher und digitaler Räume.

Für eine solche Pionierarbeit, die der Gesellschaft in hohem Maße zugutekommt, indem sie gegenwärtige Transformationsprozesse erprobt und gestaltet, brauchen freie Produktionszusammenhänge finanzielle und infrastrukturelle Unterstützung und Förderung von Stadt, Land und Bund. Spielvereinbarungen, Support bezüglich der Vernetzung mit lokalen Akteur*innen sowie eine niederschwellige Antragsstruktur sind einfache Mittel, die Freien Produktionszentren die Arbeit an und in der Zukunft erleichtern können.

Kleingruppen | Herausforderungen & Lösungsansätze

In Kleingruppen diskutierten die Teilnehmer*innen der Konferenz aktuelle Herausforderungen für Akteur*innen in freien Produktionszusammenhängen. In einem zweiten Schritt wurden mögliche Lösungsansätze sowie Selbstverpflichtungen und Beispiele von Best Practice zusammengetragen. Je nach Betrachtungsstandpunkt und eigener Verortung der Akteur*innen ergaben sich natürlich sehr unterschiedliche Aspekte. Dabei kristallisierten sich jedoch deutlich Themenbereiche heraus, die für die Weiterarbeit der Allianz, aber auch der freien Szene insgesamt zentral sind. Die Schlagworte und Themen sind als Orientierungspunkte zu verstehen, wobei sich Fragestellungen und Konfliktfelder natürlich überlappen.

Selbstverständnis + Reflexion

Im Austausch über Profil und Selbstverständnis freier Produktionshäuser wurde deutlich, wie vielfältig die Vorstellungen von, Erwartungen an und Aufgaben für solche Institutionen gedacht werden. So sollten Produktionshäuser nicht nur als Produktionsorte, sondern auch als Kompetenz- und Businesszentren fungieren, ein Bedarf, der seitens der Kunstschaffenden sehr deutlich artikuliert wurde. Eine solche Leistung jedoch bringt wiederum einen erhöhten Bedarf personeller Ressourcen mit sich – für die wiederum häufig finanzielle Mittel fehlen.

Die vielen unterschiedlichen und dringlichen Anforderungen gestalten sich oft als Überforderungsszenario für Produktionshäuser, deren Funktion zwischen künstlerischer Produktionsstätte, sozial verpflichteter Arbeitgeber, utopisches Zukunftsmodell und wirtschaftlichen Zwängen ausgelieferter Betrieb oszilliert.
Problemfelder wie Generationenwechsel, Offenheit und Fluidität versus Institutionalisierung und Funktionalität angesichts gegenwärtiger Transformationsprozesse erzeugen großen Druck auf Produktionshäuser, Künstler*innen und konkrete künstlerische und strukturelle Produktion. Komplizierte, kurzfristige und arbeitsintensive Förderstrukturen erzeugen zusätzliche Belastungen der Akteur*innen.

Wie können wir eine »Entschleunigung« unterstützen?
Wie können wir die Selbstausbeutung und Überarbeitung in der freien Szene problematisieren und eindämmen?
Wie können wir administratives und inhaltliches Arbeiten ins Gleichgewicht bringen?
Wie kommen wir aus dem »Reagieren« heraus – und können bezahlte Zeit für das Wesentliche investieren?
Wie gehen wir mit der Diskrepanz zwischen eigenem ideellem Anspruch an Arbeitsweisen und -strukturen und den gegebenen Möglichkeiten und Notwendigkeiten um?
Welche Bilder haben wir vom Kunstschaffenden in ihrer Arbeit? Welche vermitteln wir nach außen (Paare, Familien, Einzelkünstler*innen, hohe Produktivität, etc.)?

Vor dem Hintergrund individueller Selbstausbeutung im freien künstlerischen Kontext entstand die Selbstverpflichtung zur Reflexion und Sichtbarmachung der eigenen Position und Geschichte nach außen. Hinzu kamen Ideen, alternative Konzepte einzuladen und sich auszutauschen.
Geraten wurde insgesamt zu einer Haltung mit mehr Vorsicht vor Überforderung und zu hohen Ansprüchen.
Einige freischaffende Künstler*innen sprachen auch Selbstverpflichtungen aus, aus der systematischen Selbstausbeutung nach Kräften auszusteigen, dabei wurde auch deutlich, dass mit dieser Entscheidung auf persönlicher Ebene auch strukturelle Veränderungen einher gehen müssen.
So soll auch das ökonomische Konstrukt »Freies Produktionshaus« reflektiert und nach außen getragen werden, da Produktions- und Leistungsdruck immer als Ergebnis komplexer Gefüge verstanden werden müssen.

Als genrespezifische Herausforderung stellten sich Heterogenität und Größe der Figurentheaterszene dar. Diskussionen über Formen und Ästhetiken nehmen im »Strudel der Arbeit« viel zu wenig Raum ein, wenngleich die künstlerische Diskussion zentraler Aspekt der Arbeit im, am und mit dem Gegenstand ist. Wie können wir hier weitergehen und (bezahlten) Raum schaffen? Will die Figurentheaterszene wachsen – und wenn ja, wie kann das geschehen?

Zudem stellten sich sehr konkrete profilbezogene Fragen: Wie offen kann ein Produktionshaus sein? Wie kann es der Herausforderung begegnen, zum einen das eigene Profil zu schärfen und zum anderen trotzdem viele Einzelstimmen zu beteiligen und demokratisch zu agieren?
Hier gab es aus Sicht der Produktionshäuser Plädoyers für klare Schärfungen der Profile, um zum einen Verbindlichkeit und Verlässlichkeit für Künstler*innen und Publikum zu bieten, zum anderen aber durch klare Positionierung auch in Zusammenarbeit mit anderen Häusern vielfältige, spezifische Bedarfe und Aufgaben abdecken zu können.
»Je besser wir sind, desto mehr profitieren auch andere Häuser!«

Produktions- und Arbeitsweisen

 »Wie wollen wir arbeiten?«

Ausgehend von Fragen nach Vorgehen und Perspektive wurden vielfältige Herausforderungen in den bestehenden Produktions- und Arbeitsweisen skizziert. Dabei wurde sehr deutlich, dass es nicht DIE EINE Arbeitsweise gibt, sondern jedes Kollektiv, jedes Produktionszentrum, jedes freie Ensemble eigene Arbeitsweisen und Vorgehen hat:
Wie funktioniert Zusammenarbeit in derart heterogenen Strukturen?
Wie kann man z.B. als Kollektiv in und mit Strukturen und Institutionen arbeiten?

Mit diesen Fragen eng verknüpft sind Probleme durch unterschiedliche Machtverteilung und Hierarchien. In den Überlegungen zu guten Arbeits- und Produktionsstrukturen wurde immer wieder deutlich, wie unabdinglich die Reflexion der eigenen Haltung und Perspektive und – wenn nötig – das Aufbrechen von Hierarchien und Machtverhältnissen – für solche Konstellationen ist. Sehr konkret wurde vorgeschlagen, die Kuratierung aus den Händen weniger Personen in kollektivere Prozesse überführen, mit dem Ziel der Herstellung und Umsetzung von hierarchiearmen, nachhaltigen und diversen Strukturen. Leitende Fragen, die solche Reflexion begleiten können, sind:
Welche Perspektive nimmt man selbst ein?
Wie können wir mit dem Machtgefälle Produktionshaus vs. Künstler*innen umgehen?
Wie kann man solidarisch mit Künstler*innen zusammenwirken?
Wie kann man auf Augenhöhe kommunizieren?

Dabei wurde Transparenz als unabdinglicher Aspekt für das Funktionieren interner Strukturen genannt – was beispielsweise Finanzielles und Produktionsprozesse angeht – als Voraussetzung für das Verstehen der Strukturen, in die man sich als Kunstschaffende*r begibt.

Auch die Einsicht in die Notwendigkeiten bedürfnisorientierten Austauschs, Strukturarbeit und Reflexion schafft praktische Herausforderungen:
Wie können wir Bedürfnisse reflektieren und dafür Raum und Zeit schaffen?
Wie kann solche Arbeit sichtbar, definiert und nicht zuletzt auch bezahlt werden, gibt es doch häufig auch einfach zu wenig Strukturen und Möglichkeiten, die eigenen Arbeitsansprüche zu realisieren?

Ist ein Perspektivwechsel möglich?
Wo setzen wir an?
Von wo aus denken wir?
»Menschen werfen einander oft vor, etwas sei nicht zu Ende gedacht. Dabei ist es fatal, die Dinge nur zu Ende zu denken – und nicht wieder bis zum Anfang. In dieser Ausgabe kreisen wir die Probleme unseres linearen Weltbildes ein.«
[o.A. »Das Eckige muss ins Runde« Auftakt, Greenpeace Magazin 4.2021, S. 11]

Schließlich, und dies öffnet die Frage nach Arbeits- und Produktionsweisen nach außen, wurde darüber diskutiert, wie unterschiedliche Erwartungshaltungen seitens der Häuser, Politik, Künstler*innen und Publikum mitgedacht und in die Arbeits- und Produktionsprozesse einbezogen werden können.

Im Rahmen dieser Diskussionen entstanden sehr konkrete Forderungen, die besonders den Wunsch nach Langfristigkeit artikulierten, aber auch konkrete Projektideen formulierten.
Aus Sicht der Künstler*innen wurde vorgeschlagen, Arbeiten mit längeren inhaltlichen Bögen zu konzipieren, in denen Themen auch über mehrere Produktionen hinweg verfolgt werden. Solche Formate setzt die Frl. Wunder AG beispielsweise bereits in ihrem »Langsamen Theater« um.
Zudem gab es in Bezug auf soziale Absicherung aber auch in Bezug auf die nachhaltige Ausgestaltung des Generationenwechsels das Bedürfnis nach konkretem Ausprobieren von Projekten, die sehr lange dauern und bereits die nächste Generation im Blick haben.

Auch der Wunsch nach Formaten zu vielfältigeren, generationenübergreifenden Kooperationen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit wurde von Künstler*innenseite formuliert. So könnte es z.B. häuser- und ortsübergreifende Formate für Einzelpersonen geben, die sich an einem Haus zum Kollektiv zusammenzufinden und für ein Projekt zusammenzuarbeiten. Auch Wochenendworkshops und Austauschtreffen wurden vorgeschlagen.
Ähnliche Austauschformate – und das wurde sehr begeistert aufgenommen – erfolgten im Westflügel Leipzig in Form der Sessions, ein Format über ein Jahr, währenddessen sich in 4 – 5 Sessions Künstler*innen jeweils für ein Wochenende trafen und schließlich ihre Arbeit als Zwischenstand präsentierten.
Solche Formate existieren aktuell vor allem im digitalen Raum, z.B. in den Projekten STAGE@PLAY des Theater Rampe in Stuttgart oder der StageJam der Schaubude Berlin via GatherTown als digitales Interaktionstool.

Wie können wir fachliche Fort- und Weiterbildung gestalten?
Woher generieren wir Fachpersonal für Figurentheater? 

Im Bereich Aus-, Fort- und Weiterbildung wurde der Wunsch aus Sicht von Künstler*innen nach Profitrainings, z.B. mit Wunschdozierenden, als Austauschtreffen oder Klausur artikuliert.

Schließlich wurde aus Sicht der Produktionshäuser der Bedarf artikuliert, neue Produktionsorte zu schaffen.
Sehr konkret war z.B. der Vorschlag für Vereinbarungen kostenfreier Raumnutzungen, die über Stadt oder Land vermittelt werden könnten, wie anhand des Beispiels des Très-Tôt-Théâtre skizziert wurde.

Um administrative Arbeiten abzugeben, wurde insgesamt geraten, in Finanzierungsplänen bei Anträgen Posten wie Produktionsleitung miteinzukalkulieren, um sich auf den künstlerischen Prozess konzentrieren zu können, da Produktionshäuser diese Art der Begleitung aktuell nicht leisten können, sowie auch die Kulturmanagementszene in die eigene Arbeit mit einzubeziehen.

Insgesamt wurde in der Diskussion um Arbeitsweisen sehr deutlich, dass der Kampf um bessere Produktions- und Arbeitsbedingungen oft verbunden ist mit dem Zwang zu mehr Wachstum und Innovation, dabei bräuchte es eigentlich vielmehr eine Stabilisierung der vorhandenen Strukturen, um sich von da aus weiterzuentwickeln.
Da dieses Dilemma nicht von heute auf morgen aufgelöst werden kann, müssen Akteur*innen in freien Produktionszusammenhängen an den gegebenen Möglichkeiten ansetzen, damit arbeiten und den Einsatz für bessere Produktionsbedingungen als kontinuierliche Tätigkeit begreifen.

Struktur + Netzwerk

Zentral in der Diskussion war immer wieder der Begriff der »Struktur«, wobei hier sowohl Überlegungen zu interner Vernetzung diskutiert als auch Gedanken zu größeren Netzwerken, Austauschmöglichkeiten und Kooperationen geteilt wurden. In dieser Bewegung bildet sich die Verflochtenheit zwischen z.B. produktionshausinterner Struktur und Arbeitsweise sowie der Zusammenarbeit mit Künstler*innen aber auch der Verortung in diversen Bündnissen ab.

In welchen Strukturen wollen wir arbeiten?
Wie können wir interne Strukturen verändern?
Wie wirkt sich dies auf unsere externen Strukturen und Netzwerke aus?

Welche Rolle spielt Institutionalisierung und wir wirkt sie sich auf die Struktur aus? Sollte man das Verantwortungsbewusstsein der Künstler*innen gegenüber den Produktionshäusern im Sinne einer Beteiligung und engeren Zusammenarbeit fördern oder lieber an einer Institutionalisierung und Ausdifferenzierung der Berufe und Sparten arbeiten? Sollte man Künstler*innen besser einbinden oder aus administrativen Prozessen eher raushalten?

Wie kann man sich als Freie Gruppe gut institutionalisieren?

Wie können wir Verbündete schaffen?
Brauchen wir eine Strukturreform, in der ein Netz von Produktionshäusern z.B. sehr kleine Häuser strukturell oder personell unterstützt?
Viele kleinere Häuser haben z.B. sich längst der freien Szene angenähert und bestehen ohne festes Ensemble – wäre das ein Modell?

Wie gelingt der Weg von Einzelkämpfer*innentum hin zum kollektiven Miteinander?

Wie kann Solidarität zwischen Produktionshäusern ausgestaltet und produktiv gemacht werden?

Die Bildung vertrauensvoller Netzwerke wurde recht einstimmig als dringende Notwendigkeit erachtet, gegenwärtigen Transformationsprozessen souverän und aktiv zu begegnen. Doch Netzwerke sind Mehrarbeit, was zeitlich und finanziell eine Herausforderung darstellt, aus welcher erst nach einem gewissen Vorlauf eine Entlastung entsteht.

Daher stellt sich die Frage: Welche Synergien können wir nutzen, indem wir andere Akteur*innen, die ähnliche (Teil-)Ziele verfolgen, einbinden?

Exemplarisch ließen sich hier Überlegungen zum Touring anführen: Fehlende Netzwerke für Produktionen im Abendprogramm erschweren z.B. die Einladung internationaler Gruppen mit mehreren Aufführorten, was für Kindertheater eher funktioniert.

So stellt sich die Frage nach Netzwerken in zwei Richtungen: Wie können bestehende Netzwerke – z.B. Landesverbände und BFDK – als Austausch- und Reflexionsräume genutzt werden, um produktives gemeinsames Entwickeln von Arbeits- und Produktionsstrukturen zu ermöglichen?

Wie können außerdem zwischen den über 70 festen Spielstätten für Figurentheater und den unzähligen weiteren Akteur*innen bessere Vernetzungen stattfinden, damit die Strukturen, die da sind, z.B. von jungen Künstler*innen genutzt werden können? Wie können Netzwerke gebildet werden, die generationen- und genreübergreifend für Mentoring, aber auch Verwaltung, Struktur, Rechtliche Fragen etc. unterstützend wirken können?

Als Beispiele für bereits bestehende und gut funktionierende Vernetzungsformate wurde der zwanglose interne Austausch wie beim »Virtuellen Stammtisch« genannt, der ermöglicht, Bedürfnisse miteinander abzugleichen, zu sammeln und der Vereinzelung entgegenzuwirken.
Exemplarisch wurde auch die »Solidargemeinschaft Stuttgarter Theater« genannt, die Stammtische und Videokonferenzen dezentral, niedrigschwellig und international veranstaltet. Hier wurde der Wunsch nach besserem Überblick über anstehende Konferenzen laut, eventuell sogar über eine eigene Plattform, möglicherweise aber auch über die Vereine, Social Media oder die Kanäle einzelner Häuser.

Zur Stärkung von Digitalisierung und Vernetzung wurde vorgeschlagen, eine Austausch-Plattform unter Kolleg*innen einzurichten, die ermöglicht, digitale Formate zu Sichtung und Austausch sowie Konservierung zur Verfügung zu stellen. Ein solches Tool könnte die Zugänglichkeit zu Arbeiten anderer, Vernetzung über Distanzen und wechselseitige Updates erleichtern.

Es wurde außerdem der Wunsch nach einer Bestandsaufnahme der Theaterlandschaft artikuliert, um bestehende Strukturen besser fördern zu können, wie sie im Rahmen des Masterplan Figurentheater erfolgen soll.
Außerdem könnten bestimmte Schwerpunktthemen auch im Rahmen von Allianzen und gemeinsamer Projekte bearbeitet werden, z.B. Transformationsprozesse als Schwerpunktthema der Allianz. Solche Prozesse im Verbund zu gestalten, bedeutet auch, Kompetenzen zuzuweisen und zu teilen.
Insgesamt könnten solch solidarischen Zusammenschlüsse einzelner Akteur*innen und Zentren die Kraft des Engagements verstärken. Exemplarisch für ein solidarisches Prinzip bezüglich Lohns und Arbeit wurde hier die Initiative Mindesthonorar Stuttgart genannt.

Weitere Vorschläge waren z.B. die Einberufung eines Veranstaltertreffens, aber auch den Einbezug von FSJler*innen und Jugendclubs sowie auch die bestehende Theaterpädagogik besser mit einzubinden. Auch partizipative Arbeit für Jugendliche und Kinder sowie Projekte für Artistic Research mit jungen Menschen können wichtige Strukturen aufbauen und verstärken.

Wünschenswert wären in jedem Falle bezahlte Kräfte für die Kooperationen mit Regionen und ländlichen Räumen, die über die »hohe Kunst« hinaus in die Gesellschaft vermittelnd und partizipativ agieren können.

Große Einigkeit bestand darin, die im Kleinen erarbeiteten Strukturen entlang Dehierarchisierung, Niedrigschwelligkeit und Awareness auch in Netzwerken weiterzuvermitteln, sodass die gebildeten Interessensvertretungen, Allianzen und Netzwerke produktiv und gut arbeiten können. Für die Ausbildung solcher Netzwerke ist jede*r Einzelne*r mit seiner*ihrer Expertise und Engagement gefragt!

Nicht zuletzt ermutigten sich die Teilnehmer*innen, an bereits angestoßenen Prozessen wie z.B. der Allianz internationaler Produktionszentren für Figurentheater oder dem Projekt »Masterplan Figurentheater« aktiv teilzunehmen, sich einzubringen und dranzubleiben.

Nachhaltigkeit + Soziale Verantwortung

Unter dem Begriff »Nachhaltigkeit« sammelten sich im Sinne einer weiten Begriffsdefinition nach Jonas Zipf eine Bandbreite von Fragen, die sich rund um Solidarität und Generationenwechsel gruppierten. Ausgehend von nachhaltigen Arbeitsweisen, praktische Vernetzung und das Teilen von Ressourcen und Kenntnissen wurde besonders intensiv über Nachwuchsförderung, soziale Verantwortung und Generationenwechsel diskutiert.

Wie und woher können wir Nachwuchs generieren?
Nachwuchsförderung – wie können wir diese als Produktionshäuser leisten?
Was ist gute Nachwuchsförderung? Wie durchlässig ist sie? Und für wen?
Die Häuser sind oft an Kapazitätsgrenzen – wo ist Platz für Nachwuchs?
Wie können wir auch neuen Nachwuchs für Figurentheater im Bereich Regie und Dramaturgie, aber vor allem auch als Spieler*innen interessieren?

Aus Sicht von Nachwuchskünstler*innen kam ein sehr konkreter Wunsch nach eine*r Ansprechpartner*in oder spezifische zentrale Emailadresse der Allianz, die dezidiert für Nachwuchs ausgerichtet ist und beispielsweise Kontakte zu Häusern, Spielstätten u.ä. herstellen kann. Auch die Idee einer Agentur für freies Figurentheater wurde hier artikuliert.

Ideal wären auch im Bereich Nachwuchs bezahlte Kräfte, die z.B. zur Anwerbung gezielte Initiativen starten, die niederschwellig zu Ausbildung, Tätigkeitsbereichen etc. informieren, die Vielfältigkeit des Genres vermitteln und einladen.

Außerdem sollten Kooperation und Austausch mit den Hochschulen und deren Studierenden ausgebaut werden. Dadurch könnten zum einen Ideen aus der jungen Szene aufgenommen werden, die nicht in räumlicher Nähe sind und zum anderen auch Nachwuchsprogramme gemeinsam geschärft und überarbeitet werden.

Wo ist Platz für »Senior*innen«?
Welche Produktionsbedingungen brauchen ältere Künstler*innen und wir können wir hier unterstützen?

Hier muss ein Programm entwickelt werden, das ältere und jüngere Kurator*innen, Künstler*innen und weitere Akteur*innen mit einbezieht und deren spezifische Bedürfnisse berücksichtigt.

Wichtig ist in hier im Sinne eines nachhaltigen Arbeitens, Gelder und Räume zu schaffen, um den Generationenwechsel zu ermöglichen, Expertisen weiterzugeben und gemeinsam formulierte Forderungen politisch wirksam zu artikulieren. Wurden in diesem Kontext zwar einige Ansatzpunkte diskutiert, bleiben doch immer noch viele Fragen zu Generationenwechsel im Besonderen und zu sozialer Verantwortung und Absicherung im Allgemeinen offen.

Wie gehen wir mit Generationenwechsel zusammenhängenden Problemen um: Was hängt an einzelnen Personen? Was passiert, wenn die wegfallen?
Wie schafft man, auch bei Leitungswechseln an Häusern eine Kontinuität in der Zusammenarbeit zu sichern?

Wie können wir Sicherheit für Künstler*innen und Produzierende bieten?
Wie können wir Strukturen sozialverantwortlich und für Künstler*innen verantwortlich gestalten?

Inklusion

Unter dem Begriff »Inklusion« entspannen sich Diskussionen um Diversität, Audience Development und Barrierearmut und Zugänglichkeit.

Warum ist unsere Szene nicht so divers? Liegt das in der Ästhetik begründet? Kann das Spiel mit Materialien aktuelle Diskurse um Körper und Selbst nicht hinreichend abbilden und bearbeiten? Ist solch utopisches Potenzial möglicherweise im Figurentheater noch nicht ganz angekommen?

Die Beschäftigung mit Inklusion zieht Fragen nach Räumen sowie externer und interner Zugänglichkeit mit sich:

Wie können wir Szene außerhalb des Dunstkreises adressieren?

Wie können wir innerhalb des künstlerischen Betriebes eine größere Zugänglichkeit und Barrierearmut schaffen?

Hierzu entstanden aus Häusersicht Selbstverpflichtungen zu mehr Aufmerksamkeit für Problemstellung und Sensibilisierung im Bereich Zugänglichkeit und Diversität. Zugleich machten die Häuser sehr deutlich, als bereits sehr strapazierte Struktur mit dieser Aufgabe überfordert zu sein und hier vielmehr auch auf den Einbezug der Szene zu hoffen. Mit der Selbstverpflichtung ging die Forderung nach mehr Personal zur Begleitung der Transformationsprozesse einher.
Zudem erfolgte eine sehr konkrete Selbstverpflichtung als Künstler*in, die Studiengangswebsite und -zugangsinfos barriereärmer machen, um auch hier eine größere Bandbreite an möglichen Studierenden erreichen zu können.

Wie können neue Räume entstehen?
Lassen sich durch Raumwechsel andere Räume erschließen?
Wie gehen wir mit dem Gefälle Stadt vs. peripherisierte Räume um?

Wie können wir Barrieren in Theaterräumen abbauen, die z.B. durch Markierung des Raumes als elitär, spezifische Tabus und Verhaltensnormen entstehen?
Wie erreichen wir das Publikum?

Fragen nach Orten, Publika und Räumen wurden als stets virulente Fragen ausgemacht. Dabei wurden keine spezifischen Handlungsanweisungen erstellt, als vielmehr der allgemeine Aufruf laut, neue Orte und Publika z.B. mittels Dezentralisierung durch Spielorte in verschiedenen Regionen zu erschließen. Exemplarisch lässt sich die Selbstverpflichtung als Künstler*in lesen, die eigenen Stücke im Zug transportierbar zu halten und dadurch sowohl nachhaltig als auch zugänglich zu agieren.

(Kultur-)Politik + Förderung

Ein letzter, sich durch viele Diskussionen wie ein roter Faden ziehender Faktor stellen politische Sichtbarkeit und politisches Handeln sowie damit einhergehend Fragen der Finanzierung und Förderung dar. Die oft mangelnde (kultur-)politische Sichtbarkeit der Freien Szene allgemein und der freien Produzierenden im Bereich Figurentheater im Besonderen ist ein Grund für die konstatierte große Lücke zwischen Freier Szene und Politik. Hinzu kommen komplexe Förderstrukturen, die regional stark variieren.
Dabei ist die Kommunikation zwischen Häusern und Politik oft schwierig, wenn es z.B. darum geht, finanzielle Bedarfe zu artikulieren, obwohl es doch beispielsweise »seit Jahren funktioniert«.
Wie können hier Bedarfe kommuniziert werden?
Wie kann ein Austausch zwischen Förderinstitutionen und Akteur*innen der (Figurentheater-)Szene besser gestaltet werden?

Entlang einer Reflexion der eigenen Arbeits- und Produktionsweisen und dazugehörigen Bedarfe angesichts gegenwärtigen Transformationsgeschehens knüpfen sich hier sehr konkrete Anliegen an:
Wie kann Förderung für strukturelle Arbeit, Networking und Team Building beantragt werden?
Wie kann der systematischen Selbstausbeutung frei arbeitender Akteur*innen durch Finanzierungs- und Förderstrukturen begegnet werden?
Wie ließe sich eine sinnvolle Möglichkeit zur Beantragung von Förderung für Studierende schaffen?
Wie können wichtige Themen wie Diversität, Digitalität und Nachhaltigkeit nicht als Trend behandelt, sondern in Linearität und kontinuierliche Förderstrukturen überführt werden?
Wie kann intersektionales Denken in Förderplänen etabliert werden?

Zentral für Möglichkeiten der Förderung ist die Sichtbarkeit der eigenen Arbeit. So muss gegenüber der Kulturpolitik vermittelt werden, welche Arbeiten rund um freie Produktionshäuser passieren und welches Nutzen in neuen Strukturen und verbesserten Arbeits- und Produktionsweisen liegen.

Um hier in enger Kommunikation zu stehen, sollten Kontakte zu Abgeordneten auf- und ausgebaut werden. Als Best Practice ließe sich hier die Initiative »40 000 Theatermitarbeiter*innen treffen ihre Abgeordneten« der Dramaturgischen Gesellschaft und ensemble-netzwerk anführen.

Zur besseren Sichtbarkeit von Figurentheater allgemein wurde im Sinne einer Erweiterung des Aufführungsbegriffes vorgeschlagen, mehr Präsenz durch Plattformen für hybride, digitale und Präsenz-Formate nebeneinander zu schaffen.

Auch der Ausbau wissenschaftlicher Auseinandersetzung kann zur erhöhten Sichtbarkeit und Diskursivierung freier Produktionshäuser und Figurentheater beitragen.

Auch vor dem Hintergrund kulturpolitischer Überlegungen wurde die Frage gestellt: Wie können neue Orte entstehen? Eine Forderung an die Kulturpolitik formulierte die Bitte nach Kooperation in der Suche nach Orten – auch in ländlichen Räumen –, der Bereitstellung möglicher Räume und Angebote jenseits des Marktes zur Unterstützung freier Produktionshäuser.

Als große Vision für Produktionshäuser der Zukunft wurde die verstärkte Schaffung von Strukturen und Netzwerken, Support-, Business- und Kompetenzzentren für Kunstschaffende sowie bezahlte Netzwerkarbeit skizziert, die seitens der Kulturpolitik unterstützt werden. Solche Unterstützung mag möglich sein – doch dafür bedarf es starker Netzwerke und guter Sichtbarkeit.

Bezogen auf Förderstrukturen und Finanzierungen wurde vor allem der Ruf nach Langfristigkeit und leichterer Zugänglichkeit zu Förderung laut.

Aus Sicht eines Freien Hauses wurde Planungssicherheit durch mehrjährige Förderstrukturen (z.B. 3 Jahre) gewünscht, da die jährliche Beantragung den künstlerischen Produktionsprozess zugunsten von Aktionismus und Kreativitätsstress insgesamt behindert.
Auch eine Ensemblegründungsförderung wurde als sinnvolle Maßnahme für bessere und verpflichtende Vernetzung solcher Strukturen, z.B. als GbR, erachtet. Wünschenswert wären Gelder für Produktionsleitung und administrative Aufgaben sowie Austausch- und Kooperationsarbeit als unabdingliche Arbeit an den Strukturen.
Und schließlich – im Sinne der Nachhaltigkeit gefragt: Können wir transparente Strukturen schaffen, um Förderung langfristig zu erhalten?

Zudem artikulierten sich Bedarfe nach Formen der Businessberatung im Figurentheater. Gut wäre, ein Programm zu entwickeln, das jeweils die Situation von Einzelpersonen fokussiert und Mentoringprogramme sowie Tandems bereitstellt. Ein weiterer Vorschlag war die Einführung eines Existenzgründungsjahres nach dem Studium mit unterstützender Struktur und Mentor*inprogramm.
Best Practice für diejenigen, die das Angebot nicht kennen ist der »FörderFinder« des dfp-Portals, im Rahmen dessen Helene Ewert persönliche Sprechstunden zur Unterstützung bei der Suche möglicher Förderungen anbieten.

Insgesamt jedoch muss sich die Förderpolitik ändern. Anstelle sich von Projekt zu Projekt zu finanzieren, müssen auch Akteur*innen in freien Produktionszusammenhängen von ihrer Arbeit leben können. Im Zuge dieser Forderungen wurden die im Rahmen von NEUSTART KULTUR durch Fonds Darstellende Künste aufgelegten Residenz- und Netzwerkförderungen #TakeCare und #TakeNote 2020 und 2021 als Best Practice benannt. Aufgrund ihrer Ausrichtung auf prozessorientiertes Arbeiten und den Ausbau bestehender Strukturen und Netzwerke wurde deutlich der Wunsch nach Verstetigung formuliert.

FUTURE? UNWRITTEN…

Konzipiert als Podiumsdiskussion widmete sich »Future? Unwritten…« aktuellen Fragen, Herausforderungen und Potenzialen von Theater- und Kulturjournalismus. Die zunehmende Prekarisierung von Kultur- und Theaterjournalismus wurde eingehend diskutiert und versucht, als Ausgangspunkt für mögliche Zukunftsvisionen und Konzepte produktiv zu machen.

OFFENE FRAGEN:

Wer braucht Theaterkritik?
Wie kann Kritik aussehen?
Was kann Gegenstand der heutigen Berichterstattung sein und wie gehen wir mit der zunehmenden Interesselosigkeit der Medien gegenüber Kultur um?
Sind Kritiker*innen »Scheiße am Ärmel der Kunst«?
Woher Nachwuchs generieren?
Und wer bezahlt das?

GÄSTE

Karin Bjerregard Schlüter | Kulturjournalistin und Professorin am Masterstudiengang Leadership in Digitaler Innovation an der Universität der Künste UDK Berlin, Zentralinstitut für Weiterbildung (ZIW)
Matthias Schiffner | Öffentlichkeitsarbeiter, Westflügel Leipzig
Esther Boldt | freie Autorin, Tanz- und Theaterkritikerin, Co-Leitung der Akademie für zeitgenössischen Theaterjournalismus
Dorothea Marcus | kritik-gestalten / Kulturjournalistin, Radioautorin und Theaterkritikerin, Köln
Peter Korfmacher | Ressortleiter Kultur der Leipziger Volkszeitung und Musikkritiker

MODERATION

Elena Philipp | freie Kulturjournalistin (u.a. nachtkritik.de), Berlin

INPUT

Wo befinden wir uns und was sind die Bedingungen? Sehr präzise umriss Schlüter die diskursiven Veränderungen im Bereich Theater- und Kulturjournalismus durch digitalen Wandel. Anstelle räumlich und zeitlich gebundener Adressierung treten durch Digitalisierung zunehmend unverortbare, zugleich aber verstärkt inhaltlich interessierte Adressat*innen. Digitale Formate erfordern zum einen tiefere Kenntnisse der verwendeten Tools, verändern aber auch den journalistischen Inhalt besonderer Form. Für einen Theater- und Kulturjournalismus der Zukunft schlug Schlüter die Entwicklung spezifischer Formate für ein spezifisches Publikum vor, das idealerweise bereit ist, diese Inhalte zugleich verbindlich zu finanzieren.

Karin Bjerregaard Schlüter | Digitalexpertin, Kulturjournalistin und Professorin am Masterstudiengang Leadership in Digitaler Innovation an der Universität der Künste UDK Berlin, Zentralinstitut für Weiterbildung (ZIW)

Ausgehend von diesem Beitrag entspann sich zwischen den Gästen und schließlich auch dem Publikum eine hitzige Diskussion.

Im Zentrum stand dabei zum einen die veränderte Position der Kritiker*in durch digitale Transformation. Anstelle hierarchisch organisierter Informationsebenen, auf der die Kritik höhergestellt ist, treten gleichgestellte Communities von Menschen, die sich für ein Themenfeld interessieren. An dieser Community kann und sollte Kulturkritik partizipieren – eigeninitiativ, aktiv und produktiv.
Dieser Wandel der Sprecher*innenposition erschien provokant und wurde ambivalent rezipiert. Als Entheiligung der*des Kritiker*ins auf der einen Seite kann diese Entwicklung zugleich auch als Weg zum Dialog gesehen werden, der die Reflexion der eigenen Position fordert und fördert.

Provokativ ist auch die Frage, wie Kulturkritik den Weg zu ihren Rezipient*innen findet: »Wie erreiche ich denn die Gemeinschaft von Menschen, die sich über Kultur austauschen wollen? Ich möchte gerne moderieren und vermitteln, mein Wissen und meine Expertise teilen – aber wie komme ich da hin?«
Schlüter empfiehlt hier die Bildung eigener Communities, denen der*die Kulturkritiker*in die eigenen Inhalte – idealerweise mit hoher Qualität und Regelmäßigkeit – als Produkt anträgt. Es geht um die Schärfung der eigenen Position, die Etablierung einer Community, deren Bedürfnisse erkannt und erfüllt werden: »Der User ist der König im Dorf.« Und der User rezipiert Theater- und Kulturkritik zur Unterhaltung, zur Information und als Kunstform.

Diese inhaltliche Orientierung an – und letztlich auch finanzielle Abhängigkeit von – den Rezipierenden treibt Setzungen klassischen Kultur- und Theaterjournalismus massiv an ihre Grenzen.
Geht es nicht auch um das Wahrnehmen des Peripheren? Des Abseitigen, Zufälligen?
Braucht es nicht doch die regionale Verortung – weil mich doch sicherlich mehr interessiert, was im Theaterhaus nebenan gespielt wird, als irgendwo auf der Welt?

Diese über Jahre lokalen Tageszeitungen zugeschriebene Aufgabe können jene aber gar nicht mehr erfüllen. Zu wenig Journalist*innen, zu wenig Platz in der Printversion, zu wenig Abonnent*innen…

Wo bleibt die Theaterkritik?
Und spricht man von Theaterkritik, so ist Freie Szene meist nicht gemeint.
Schon gar nicht Figurentheater.
Bleibt am Ende nur die selbstfinanzierte Eigenpublikation? Aber ist das dann noch unabhängiger Journalismus?
Wer schreibt kritische Texte – nicht nur für ein Publikum, sondern auch im künstlerischen Sinne und nicht zuletzt für mögliche Förderanträge, wenn sich das Verhältnis zwischen Produktion und Kritik als Auftraggeber*innenstruktur formiert?

Brauchen wir eine neue Auffassung von Kulturkritik – und gibt es eine solche möglicherweise in der jungen Generation bereits?

Wie schaffen wir gute Theaterkritik – gerade auch für Figurentheaterproduktionen?

Am Ende des Panels standen vor allem viele offene Fragen. Vielleicht können Schlüters abschließenden Worte eine Ermutigung sein, in welchen sie zu bedenken gab, dass die Übergangsphase der Digitalisierung als schwieriges Moment voller Unsicherheiten dem Bedürfnis der Menschen nach Kultur, Kulturkritik und dem gemeinschaftlichen Austausch darüber, keineswegs Abbruch tue. »Menschen wollen Kulturkritik. Menschen wollen Teil einer Community sein, die sich über Kultur austauscht.« Die Frage sei nur: Wie könnte solche Kritik aussehen? Nun gelte es, Formate zu finden, die funktionieren – und auch wieder Geld erwirtschaften!

KOMMENTAR

Im Nachgang der Konferenz verfasste Matthias Schiffner, langjähriger Öffentlichkeitsarbeiter u.a. des Westflügels Leipzig und Gast des Podiums, einen Kommentar mit Gedanken anlässlich der Diskussion »Future? Unwritten…« im Rahmen der Konferenz »Extend it!«. Dieser Kommentar ist als PDF hier verfügbar.

Download: Kommentar, Matthias Schiffner (pdf)

ABSCHLUSS

Den Abschluss der Konferenz bildete ein Treffen in GatherTown, der virtuellen Schaubude Berlin, mit Bar, Bühne und begehbaren Installationen sowie einer Anleitung für den Ex.tender, der Allianz-Cocktail zum Selbermixen in der heimischen Küche. Zu Beginn sprach Katja Spiess, Künstlerische Leiterin des FITZ Stuttgart ein paar zusammenfassende Worte:

Zum Abschluss von »Extend it!« möchte ich zunächst einmal »Danke« sagen: an die Initiator*innen dieser Veranstaltungsreihe, den Westflügel Leipzig und hier vor allem an die beiden Kolleg*innen Jonas Klinkenberg und Dana Ersing, die dieses Format ins Leben gerufen, mit Inhalten gefüllt und durch alle Widrigkeiten hindurchgetragen haben. Ganz herzlichen Dank auch an Julia Lehmann und Jessica Hölzl, die das Projekt wunderbar organisiert und begleitet haben.

In dieser Konferenz haben wir viele – aber bei weiten nicht alle – wichtigen Themen angeschnitten, die uns als Allianz und als Produktionshäuser für Figurentheater aktuell beschäftigen. Der heutige Tag ist deshalb kein Abschluss, sondern auch ein Auftakt für die weitere Zusammenarbeit und die Vertiefung der angesprochenen Themen und Fragestellungen. Die letzten anderthalb Jahre waren für alle drei Allianz-Theater sehr fordernd. Trotzdem und vielleicht gerade deshalb war es der richtige Zeitpunkt, sich zusammenzufinden und diese Konferenz gemeinsam auf die Beine zu stellen.

Die letzten drei Tage waren inhaltlich sehr dicht und ich kann nur ein paar Eindrücke und Themen benennen, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind. Was sich wie ein roter Faden durch fast alle Formate und Beiträge durchgezogen hat, ist die Erkenntnis, dass wir uns gesamtgesellschaftlich und auch als Kulturinstitutionen in einer Transformationsphase befinden, die zugleich Herausforderung und Inspiration für die Zukunft ist. Bei unserer gemeinsamen Bestandsaufnahme haben wir auch festgestellt, dass es mehr Häuser für Figurentheater braucht. Und dass es mehr junge Künstler*innen braucht, die bereit sind, Verantwortung für die Strukturen zu übernehmen, in denen sie arbeiten wollen, also auch Produktions- und Spielstätten zu leiten oder mit aufzubauen. Diese Phase, auch darüber herrschte große Einigkeit, werden wir gut meistern, wenn wir sie miteinander gestalten, wenn wir uns in neuen Allianzen und Verbünden zusammenfinden. Dies setzt neue Formen der Kommunikation und der Teilhabe voraus, über die wir uns verstärkt Gedanken machen müssen. »Extend it!« war vor diesem Hintergrund ein wichtiges Forum für produktiven Austausch und ein Pilotprojekt, dem weitere Austauschtreffen folgen sollen.

Neben vielen Inspirationen habe ich drei wichtige Erkenntnisse mitgenommen: Menschen wollen Theater machen und Theater sehen und, ja, sie wollen auch Theaterkritiken lesen!

In diesem Sinne: »Let’s go for it!«

Katja Spieß, Künstlerische Leitung, FITZ Stuttgart

Die Konferenz bildet den Abschluss für das Projektjahr EXTEND, in dem sich die Allianz gemeinsam mit aktuellen Herausforderungen beschäftigt und in engen Austausch begeben hat.

»EXTEND – Offensive für Weiterbildung, Vernetzung und Stärkung des Figurentheaters« wird gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.